Wohnen im einzigen energieautarken Mehrfamilienhaus der Welt

- DAS SMARTE HAUS ERZÄHLT

Wohnen im einzigen energieautarken Mehrfamilienhaus der Welt

- DAS SMARTE HAUS ERZÄHLT

Scroll down

In Brütten steht das einzige energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt. Das Haus und seine Bewohner erzählen, wie sie seit fast vier Jahren ausschliesslich mit erneuerbarer Energie wohnen.

Vom herkömmlichen Wohnen zum energieautarken Wohnen

Lange stand ein Mehrfamilienhaus mit einem Restaurant im Erdgeschoss an meiner Stelle. Etwas wehmütig schauten die Brüttener dann zu, wie mein Vorgänger abgerissen wurde. Der alte Hofacher im Dorfeingang soll durch ein modernes Mehrfamilienhaus ersetzt werden, hat man ihnen erklärt. Was haben die Menschen dann geschaut, als vier riesige Tanks per Schwertransport herangefahren und zu meinen Füssen im Erdreich versenkt wurden. Ein Ereignis, von dem das ganze Zürcher Unterland erfuhr. Da wussten sie, ein ganz normales Haus würde ich nicht. Als ich vor vier Jahren fertig gebaut war, kam sogar Bundesrätin Doris
Leuthard zu Besuch. Schliesslich bin ich das erste energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt.

Die Fähigkeiten des energieeffizienten Wohnbaus

Schon von aussen sieht man es mir an, ich bin kein normales Haus. Meine Wände sind nicht weiss oder farbig, sie sind auch nicht aus blankem Beton. Für die Stromproduktion sind sie mit mattschwarzen Photovoltaik-Platten, einer Solarfassade, verkleidet, und mein Dach besteht ebenfalls komplett aus Solarzellen. Beides nimmt viel Sonnenlicht auf. An einem schönen Sommertag reicht eine Stunde, um die Energie für den ganzen Tag zu produzieren. Damit die restlichen Stunden Energietanken nicht vergebens sind, habe ich noch ein paar Tricks im Keller. In einer grossen Batterie wird der Strom gespeichert, um für die Nacht etwas Vorrat zu haben, so dass mein Stromnetz stabil läuft.

Vier Tanks zur Produktion von erneuerbarer Energie

Damit meine Bewohner im Winter nicht frieren müssen und auch ihre Handys jederzeit aufladen können, habe ich vier grosse Tanks. Per Elektrolyse wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten und der Wasserstoff mit 30 bar Druck in zwei der Tanks gefüllt. Mittels einer Brennstoffzelle kann daraus wieder Energie werden und in die Speicherbatterie fliessen. Übrig bleibt Wasser, das bei der nächsten Elektrolyse wiederum in Wasserstoff umgewandelt wird.
In den zwei anderen Tanks befindet sich Wasser. Überschüssige Energie von den PV-Zellen an meiner Aussenhülle heizt es auf 55 Grad auf. Im Winter sorge ich dann dafür, dass es in den neun Wohnungen warm ist, indem das Wasser meinen Pumpen als Wärmequelle dient.


«An einem schönen Sommertag reicht eine Stunde, um die Energie für den ganzen Tag zu produzieren.»


 

Freundlicher Empfang: Der Hauseingang befindet sich hinter dem Gebäude. Am Morgen wird die Solarfassade von der Sonne beschienen, sofern diese nicht hinter einer Wolkendecke verborgen bleibt.

Fassade des energieautarken Mehrfamilienhaus

Freundlicher Empfang: Der Hauseingang befindet sich hinter dem Gebäude. Am Morgen wird die Solarfassade von der Sonne beschienen, sofern diese nicht hinter einer Wolkendecke verborgen bleibt.

Die Bewohner des energieautarken Hauses

Lukas und Rahel Baltensperger wohnen seit drei Jahren mit ihren zwei Kindern im energieautarken Haus. Für die Wohnungen hatte die «Umwelt Arena Schweiz» ein Casting veranstaltet, um eine gute Mischung aus Familien zu erhalten, die entweder kaum auf den Energieverbrauch achten oder im Gegenteil mit dem Thema vertraut sind. Anders als die anderen fünf Familien und zwei Paare sind die Baltenspergers jedoch über eine normale Anzeige auf die Wohnung gestossen. Kurz vor dem Einzug musste sich eine Familie aus persönlichen Gründen zurückziehen und die Wohnung neu ausgeschrieben werden. «Der Umzug war keine grosse Umstellung für uns, wir haben schon vorher auf den Energieverbrauch geachtet», erzählt Lukas Baltensperger.

Energieeffizienter Wohnen bei gleichem Wohnkomfort

Auch auf Komfort muss die Familie nicht verzichten. In der Küche steht eine Kaffeemaschine, ein Kühlschrank, ein Wasserkocher, und in die moderne Kücheninsel ist eine Geschirrspülmaschine eingebaut. Im Wohnzimmer steht mit dem Fernseher das einzige Gerät, das nicht über das höchste Energielabel verfügt. «Den müssten wir mal ersetzen», sagt Lukas Baltensperger und lacht. «Eigentlich haben wir sogar fast mehr Komfort als in anderen Wohnungen. Wir müssen nicht einmal lüften.» Die Fenster lassen sich öffnen, aber nicht kippen, dadurch würde zu viel Energie verschwendet beim Wiederaufheizen im Winter. Das Lüften übernimmt ein Schlitz in der Decke über der Küche. Die schlechte Luft wird abgesaugt und durch frische ersetzt, ähnlich wie bei einem Minergie-Gebäude. Haben die Baltenspergers sich eigentlich Gedanken darüber gemacht, dass ihnen die Energie ausgehen könnte? «Nein, hier ist alles mehrfach vorhanden. Wenn die Solarzellen nicht produzieren, haben wir die Batterie, und wenn die nicht tut, gibt es noch den Wasserstoffspeicher.»

Wie nachhaltig ist die Solarenergie?

Solarzellen gelten als die Energielieferanten der Zukunft. Aber sind sie tatsächlich nachhaltiger als andere Formen der Energiegewinnung? Im Gegensatz zur Energiegewinnung aus fossilen Stoffen wird beim Gebrauch kein Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestossen. Bei Herstellung, Transport und Entsorgung fallen jedoch verborgene Kosten an, die sogenannte graue Energie.

Die Energiebilanz einer Solarzelle

Photovoltaik-Module bestehen aus Glas, Aluminium, Kunststoff, Silizium und weiteren Metallen. Die Herstellung eines in Europa produzierten Quadratmeters Solarzellen kommt nach einer Berechnung der «E2 Management Consulting AG» auf 887 Kilowattstunden (kWh) graue Energie. Jeder Quadratmeter produziert pro Jahr 185 kWh Energie und kann im Stromnetz dafür sorgen, dass fossile Energieträger eingespart werden. Während die fossilen Energieträger weiterhin umweltschädliche Stoffe emittieren, produzieren die PV-Platten nur noch Energie. Eine Studie des Paul Scherrer Instituts geht davon aus, dass die Herstellung eines Quadratmeters Solarzellen nach eineinhalb Jahren amortisiert ist.

Recycling von Solarzellen

Nach 20 Jahren kommen PV-Platten an ihr Lebensende. Um wirklich nachhaltig zu sein, sollten sie danach möglichst vollständig recycelt werden. Das Glas auf der Oberfläche und das Aluminiumgehäuse lassen sich problemlos wiederverwerten. Anders sieht es bei der dünnen, meist blauen Folie im Innern aus. Sie setzt sich aus verschiedenen wertvollen Metallen wie Kupfer, Silber und Silizium zusammen, welche fest miteinander verarbeitet sind. Mittels eines sogenannten Pyrolyse-Verfahrens lassen sich die Metalle jedoch wieder trennen.

Duschbrause mit Gadget

Was tut die Politik für die Energiewende?

Im vergangenen Jahr gingen weltweit immer mehr Menschen auf die Strasse, um für eine schnellere Umsetzung von klimapolitischen Forderungen zu protestieren. Dies spürt auch das Zürcher Kantonsparlament, in dem mehr Politikerinnen und Politiker der Grünen sitzen als je zuvor. Einer von ihnen ist der Bülacher Kantonsrat und Mitglied der Baukommission David Galeuchet.


«Nach drei Jahren bin ich nach wie vor das einzige energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt.»


 

Energieeffizientes Wohnen in Zukunft

Nach drei Jahren bin ich nach wie vor das einzige energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt. Es entstehen jedoch immer mehr Minergie-Häuser, und in Leimbach steht ein weiteres Haus nach meinem Vorbild. Es hat keine Wasserstofftanks, dafür aber einen externen Speicher. Wenn sich uns immer mehr Häuser anschliessen und wir die Tanks teilen, dann schaffen wir die Energiewende beim Wohnen in der Schweiz. Mich würde das freuen.

Andrea Meili - Autorin

Andrea Meili studiert Journalismus im Bachelorstudiengang Kommunikation am Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM. Der Beitrag entstand in der Werkstatt «Multimediales Storytelling», in der Studierende Beiträge für die Praxis erarbeiten.

Veröffentlicht am: