Aktuelle Situation in der Bau- und Elektrobranche
Aktuelle Situation in der Bau- und Elektrobranche
Das Unwort «Krise» beschäftigt. Wie stark trifft die Coronakrise die Bau-, bzw. Elektrobranche in der Deutschschweiz? Unsere Recherche bei kleinen und grossen Elektroinstallateuren und Elektroplanern sowie bei den drei wichtigen Grosshändlern in der Schweiz zeigt ein sehr positives Bild, das Hoffnung macht.
Dank dem grossen Engagement verschiedener Branchenverbände, unter anderem der Dachorganisation der Schweizer Bauwirtschaft bauenschweiz, bei der auch EIT.swiss Mitglied ist, konnten die Baustellen in den allermeisten Kantonen offen bleiben. Dies war vor ein paar Wochen ein mutiger, aber aus jetziger Sicht (Ende April) der richtige Entscheid.
Einfluss auf die Elektrobranche von Covid-19
Wie hat sich Covid-19 in unserer Elektrobranche «eingenistet»? Dieser Frage gehen wir im nachfolgenden Artikel, der einen Marktüberblick gibt, nach. Gemäss den Firmen aus dem Bereich der Elektroinstallation war es sehr schwierig, das Servicegeschäft am Laufen zu halten. Die Verunsicherung bezüglich Ansteckungsgefahr war bei den Endkunden sehr gross, so dass sie bereits erteilte Aufträge stornierten oder neue aufschoben. Auf den Baustellen scheint aber, wie Sie im Folgenden erfahren werden, bis jetzt alles recht gut gelaufen zu sein.
Servicegeschäft für Elektroinstallationen läuft weiterhin
Alex Wettstein, Geschäftsführer von Electro Wettstein SA, Bivio, der vor allem in ländlichen Gegenden im Kanton Graubünden tätig ist, berichtet, dass sich die Situation bis heute (27. April) noch nicht gross verändert hat. Einige Baustellen liefen, aber es gebe auch viele Baustellen, die zurückgestellt wurden. Das Servicegeschäft für Elektroinstallationen habe sich noch nicht wirklich beruhigt. Vor allem bei den Zweitwohnungen sei natürlich gar nichts gelaufen, da diese ja nicht benutzt werden dürfen. Auch die Einheimischen rufen offenbar nur dann an, wenn wirklich etwas defekt ist. «Unsere Auslastung liegt bei ca. bei 60–70 %, wir nutzen die Zeit aber für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter sowie für den weiteren Ausbau unserer digitalen Services. Jetzt haben wir zum Beispiel einen neuen Newsletter für unsere Kunden. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist nicht unsere Art», meint Alex Wettstein.
«Die Entschleunigung hat sicher auch ihr Gutes. Wir machen sie uns besser zunutze, als darüber zu klagen.» Alex Wettstein
Region Tessin war deutlich mehr betroffen
Spinelli SA, ein grosser Elektroinstallateur aus dem sehr stark betroffenen Tessin, schreibt Ende April in seinem Newsletter an die Kunden: «Wenn auch nur teilweise, so haben wir ab heute etwa 50% der operativen Leistung wieder aufgenommen, um die Wünsche unserer Kunden in voller Übereinstimmung mit den neuen Sicherheitsvorschriften zu erfüllen.» Auch das weckt Hoffnung, waren doch die Tessiner die ersten Elektroinstallationsbetriebe, die vom Coronavirus ausgebremst wurden.
Die Geschäfte des Elektrohandels laufen regional sehr unterschiedlich
Bei den Grosshändlern, die wohl ein guter Indikator der Elektrobranche sind, sieht es aufgrund der Tatsache, dass die Baustellen in der Deutschschweiz offen blieben, zumindest in diesen Regionen bereits viel optimistischer aus. Die grossen Ausnahmen sind bei allen Grosshändlern verständlicherweise die Filialen im Tessin und in der Westschweiz.
«Bis zum Lockdown waren wir in voller Fahrt und wurden abrupt gestoppt. Plötzlich waren wir mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die wir solidarisch und mit viel zusätzlichem Engagement aller Mitarbeitenden meistern mussten. Das erste Ziel war, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen und keine Arbeitsstellen abbauen zu müssen», erklärt Marcel Helbling, Leiter Product Management bei Winterhalter Fenner AG, Wallisellen im Telefoninterview von dieser Woche. Das Tagesgeschäft über die digitalen Verkaufskanäle laufe aber weiterhin gut, und in den Bereichen Smart Home und erneuerbare Energien seien die Bestellungen noch nicht rückläufig. «Wir konnten dieses Geschäft dank guter Lieferbereitschaft selbst in den letzten Monaten sogar noch ausbauen. Vermutlich sind die Kunden auf den Geschmack gekommen oder hatten endlich die Zeit, das eine oder andere Projekt umzusetzen», ergänzt Helbling. Gleichzeitig bestätigt er die Aussage von Alex Wettstein, wonach das Servicegeschäft nach wie vor leidet.
«Die gesamtwirtschaftlichen Schäden sind unter Umständen grösser als diejenigen in der Elektrobranche.» Marcel Helbling
Otto Fischer AG setzt Schutzmassnahmen rechtzeitig um
Die Anfrage bei Pascal Grolimund, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Marketing bei Otto Fischer AG (OF), gibt ebenfalls einen spannenden Einblick in das Tagesgeschäft des Zürcher Grosshändlers zu Zeiten von Covid-19. Bereits am 26. Februar führte OF das erste Pandemie-Meeting durch. Danach wurden die Schutzmassnahmen des BAG wie gefordert umgesetzt. Mitarbeiter, die zur Risikogruppe gehören, wurden geschützt. Home-Office gab es gemäss Grolimund bis zu diesem Zeitpunkt bei Otto Fischer nur sehr reduziert und nicht über Wochen. Ab diesem Zeitpunkt in schnell wachsendem Ausmass.
Neue Chancen dank dezentraler Organisation
«Bei uns hat Home-Office überraschend gut funktioniert. Dank Microsoft Teams konnten wir die Aktivitäten unserer Teams schon nach kurzer Zeit wie gewohnt weiterführen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Erkenntnis auch einen Einfluss auf unsere zukünftige Arbeitsweise haben wird. Ich habe zudem das Gefühl, dass wir jetzt viel effizienter arbeiten. Man hat keinen gewohnten Tagesablauf mehr. Jeder ist zu unterschiedlichen Zeiten im Einsatz. Der Arbeitsweg fällt weg, dadurch ist man etwas relaxter und arbeitet hin und wieder am Abend noch etwas länger», präzisiert Pascal Grolimund. Die grössten Herausforderungen waren auch bei Otto Fischer die Logistik mit Lager und die Spedition, wo die Leute vor Ort sein müssen. «Mit den Massnahmen gemäss Vorschriften und Empfehlungen des BAG hat das bis jetzt aber sehr gut geklappt. Wir sind nicht mehr so schnell wie bisher, aber wir haben das bis jetzt glücklicherweise mit Zusatzaufwand wettgemacht, dabei setzen wir die Gesundheit der Mitarbeitenden und unserer Kunden in den Mittelpunkt. Es ist nach wie vor eine schwierige Zeit, für alle», ergänzt Pascal Grolimund.
Organisation der Logistik wird zur Herausforderung
Nur die Logistik sei nur sehr schwer oder gar nicht vorhersehbar. Normalerweise sei das Bestellvolumen sehr konstant, aber jetzt gäbe es jeden Tag ganz unterschiedliche Schwankungen. Erfahrungswerte würden im Moment nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, wodurch die Planung für einen Grosshändler noch komplexer und schwieriger werde. «Wir achten im Moment sehr darauf, dass wir keine Lieferengpässe haben, obwohl es sie auch schon vor Corona das eine oder andere Mal gab. Nur sind wir jetzt alle viel sensibler geworden und reagieren anders», antwortet Pascal Grolimund auf die Frage nach der Verfügbarkeit des Materials für die Branche. «Die Statistik und Performance der Lieferanten sind jedoch praktisch gleich geblieben wie vor Covid-19», ergänzt er.
«Elektrizität ist wichtig, Dinge brauchen Strom, damit sie funktionieren. Das kommt der Elektrobranche zusätzlich zu Gute.» Pascal Grolimund, Otto Fischer AG.
Der Schutz der eigenen Mitarbeiter ist zentral
Auch Dino De Cia, Niederlassungsleiter von EM Zürich, bestätigt, dass die Geschäftsentwicklung soweit positiv ist. Jedoch mussten die EM Niederlassungen Genf, Lausanne und Tessin starke Umsatzeinbussen in Kauf nehmen. Durch die Wiedereröffnung der Baustellen, erholen sich diese Regionen jetzt gemäss seiner Ausage jedoch wieder langsam. «In den anderen Regionen, in denen die Baustellen offen sind wie bei uns in Zürich, sind wir trotz der Krise nur wenig unter Budget, was unter diesen Umständen als sehr positiv gewertet werden kann», berichtet De Cia. «Natürlich wussten wir zu Beginn nicht, was passieren wird. Die Unsicherheit war gross, sehr gross. Auch bezüglich des Schutzes der eigenen Mitarbeiter. Wir haben zu Beginn sehr viel sehr rasch unternommen, um uns und unsere Mitarbeiter vor Corona zu schützen und um den Kunden dennoch den gewohnten Support und die Lieferbereitschaft zu bieten (siehe Statement von Dino De Cia auf etrends.ch). Aber die ganze Situation war und ist immer noch mit erheblichem Aufwand und Mehraufwand verbunden. Hoffen wir, dass das Ganze für die Baubranche gut ausgeht», präzisiert Dino De Cia am Telefon. Zudem erwähnt er am Schluss unseres Telefonates, dass er durch die Problematik von COVID-19 die Führungsaufgabe und Führungsverantwortung neu erlebt und ebenfalls entsprechend neu definiert hat.
«Rückblickend haben wir Vieles richtig gemacht, darüber sind wir froh.» Dino De Cia.
Elektroplaner führen wichtige Vorarbeiten aus
Die oben gemachten Feststellungen bestätigt am Telefon auch Nadir Mandioni, Geschäftsführer von Amstein + Walthert AG, St. Gallen: «Wir Elektroplaner gestalteten schon immer den Lebensraum. Einzelne Baustellen wurden auch in der Ostschweiz geschlossen, darunter ein Spitalprojekt, das ist verständlich.» Aber sonst sei soweit alles in Ordnung und gut, meint Mandioni. «Wir sind sehr dankbar auch gegenüber Bauherrschaften, welche die Baustellen offen halten. Wir bereiten mit unserer Planung die Projekte von morgen vor. Und je mehr wir jetzt planen können, desto schneller wird die Elektrobranche nach der Krise wieder ready sein. Deshalb ist es für uns und für die Branche wichtig, dass wir die Planungsaufträge möglichst behalten können», präzisiert er.
Veränderungen der Arbeitsorganisation sind notwendig
Einen interessanten Aspekt, den Mandioni auch anspricht, ist der Umgang mit den Veränderungen an der Organisation, die in seinem Unternehmen mit den rund 50 Mitarbeitenden nötig wurden. Nicht alle Mitarbeitenden können im Home-Office arbeiten, sei es wegen der räumlichen Verhältnisse oder wegen der Familie. Rund zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten jedoch von zu Hause aus, ein Drittel kommt ins Büro. Hier werden die Pausen geplant und die Meetings unter Einhaltung der «BAG-Schutzmassnahmen» abgehalten. Auch ein Feierabendbier via Skype hat Mandioni mit seinen Mitarbeitern schon durchgeführt. Er vergleicht zum Schluss des Gesprächs den «Kampf» gegen Covid-19 mit einem Eishockey-Match, seiner Passion: «Der Bundesrat hat sehr gut reagiert. Ich persönlich glaube jedoch, dass wir erst im ersten Drittel der Krise sind. Die weiteren Drittel mit der Exit-Strategie usw. folgen erst. Für das Management ist dies eine grosse Herausforderung.»
«Die Krise hilft uns mit Innovationen. Wir werden ideenreicher. Die Situation fordert uns alle, an allen Fronten, und es wird viel Zeit brauchen, bis wir wieder in der Normalität sind.» Nadir Mandioni
Elektrobranche ist glimpflich davongekommen
Betrachten wir die Statements und Erfahrungen der zitierten Marktteilnehmer, die die gesamte Lieferkette der Elektrobranche abdecken, ergibt sich zumindest für die Deutschschweiz ein sehr positives Bild. Die Elektrobranche und ihre Beschäftigten sind in der Deutschschweiz bis jetzt noch relativ glimpflich davongekommen. Das macht Mut, und das ist auch gut so. In anderen Branchen sieht die Situation deutlich düsterer aus.
Was wir noch nicht wissen ist, wie die Geschichte zu Ende gehen wird. Nadir Mandioni hat es treffend formuliert: «Wir sind erst im ersten Drittel.» Durch das zweite und dritte Drittel müssen wir uns erst noch hindurchkämpfen. Das erste Drittel aber zeigt, dass das Engagement und die Taktik in diesem Kampf zu stimmen scheinen. Unsere Branche und jeder einzelne Mitarbeiter in allen betroffenen Elektrounternehmen scheinen auf der ganzen Breite genügend agil zu sein, um auch auf unvorhersehbare und sehr schwierige Bedingungen reagieren zu können – auf der Baustelle, im Service, in der Planung und auch im Lager beim Grosshändler. Und darauf sollten sie, mit entsprechender Demut, jetzt in der ersten «Drittelpause» stolz sein.
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Autor: René Senn
Fotos: René Senn
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