Wieso baut man 5G?

Im Hintergrund wird bereits an weiteren Technologien gearbeitet

Wieso baut man 5G?

Im Hintergrund wird bereits an weiteren Technologien gearbeitet

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Was hat es mit den «Gs» auf sich? Und wieso spricht man schon von 6G, wenn 5G erst in der Einführung ist?


Autor: Michael Lieberherr


Jüngst hat der Tages-Anzeiger über 6G geschrieben, auf Basis eines Whitepapers von Samsung. Böse Zungen behaupten jedoch, 6G sei mehr Marketing als etwas Handfestes. Ist das so? Um die Frage zu beantworten, muss man verstehen, wie die Entwicklung im Mobilfunk abläuft: Am Anfang steht eine grosse Idee. Es wird skizziert, welche Anwendungen die Folgegeneration ermöglichen soll. Dann werden die Anforderungen (Requirements im ICT-Jargon) definiert und in Arbeitspaketen (Releases) festgehalten. Und dann wird geforscht. Verantwortlich für diesen Prozess ist das Standardisierungsgremium mit dem Namen 3GPP.

Es werden also die gewünschten Anwendungen festgehalten, viel mehr Know-how und Forschung fliesst allerdings in die Weiterentwicklung der Software, Antennen, Geräte und Chips. Denn Mobilfunk kitzelt immer mehr aus den physikalischen Randbedingungen heraus. Wäre Mobilfunk ein Auto, so wäre ein Motor mit 10 Litern Verbrauch pro 100 Kilometer auf 1 Deziliter Verbrauch optimiert worden – und das in nur zwanzig Jahren.Mobilfunk wird immer besser und kann heute im Rauschen, das vor wenigen Jahren technisch nicht mehr nutzbar war, Signale übertragen. Es stellen sich allerdings neue Herausforderungen: Ein 2G-Signal eines Gesprächs war einfacher in einen fahrenden Zug zu bringen als eine hochbreitbandige Internetverbindung

Testen, testen, testen

Rasante Entwicklung
Die Übertragungsgeschwindigkeit im Mobilfunknetz stieg in rund 20 Jahren von 9 auf 10 000 Mbit/s.

Nach der Forschung wird in der Praxis getestet, parametriert und geschraubt. Testobjekte sind beispielsweise ein Pilotnetz mit Smartphone-Prototypen wie jenes vom November 2018 oder die erste Antenne in Guttannen im Emmental. Viele Innovationen und Durchbrüche, die wir unter die Leute bringen wollen, scheinen oft wenig relevant oder sehr technisch. Sie sind aber die Schlüssel dafür, dass Monate und Jahre später alles so funktioniert, wie wir es gewohnt sind: Streaming im Zug, Telefonieren auf dem Berg, Kapazität im Netz. Wer hätte 1999 gedacht, was wir heute alles mit dem Smartphone tun? Oder dass es überhaupt so etwas wie Smartphones gibt?

Die Anforderungen an eine Folgegeneration im Mobilfunk werden von der Standardisierungsorganisation 3GPP in den Iterationen, den so genannten Releases, festgehalten.

 

Finde die Logik

Wie man diese Iterationen definiert, ist nicht einheitlich. Innerhalb von 3G gab es sehr grosse Sprünge, die keinen neuen Namen erhielten. 5G hingegen hätte man aus technischer Sicht auch unter 4G zusammenfassen können. Denn so hartnäckig uns Kritiker weismachen wollen, dass 5G etwas völlig Neues ist: Letztlich ist 5G nur ein frisiertes 4G mit besserer Software und mit neuen Hardwarekomponenten. Und das bringt mich zum wichtigsten Punkt: der Software.

Marc Andreessen, der Erfinder des Netscape Navigators, skizzierte 2011 in seinem viel beachteten Essay «Why Software is Eating the World», welche Rolle Software einnehmen wird. Genau diese Entwicklung sehen wir auch im Mobilfunk, bei 5G und in Zukunft noch viel stärker bei 6G. Sie kommt quasi zeitverzögert dort an, wo sich die Cloud bereits hin entwickelt hat: in der Virtualisierung.

 

Reich werden mit Leerlaufzeit

Schauen wir zurück: Die grosse Innovation von Amazon Web Services (AWS) war, dass sie Serverleistung per Mausklick, on demand, verkauften. Davor stellte man sich kiloweise Hardware in den Keller und benutzte nur einen Bruchteil ihrer Leistung, respektive nutzte sie nur zu Peakzeiten. Ich erinnere mich an eine Einmannfirma, die einen teuren und wartungsintensiven Server für zwei E-Mailadressen in der Besenkammer stehen hatte.

So erzählt man sich auch die Geschichte, wie AWS entstand: Für das Weihnachtsgeschäft musste Amazon die Peak-Kapazität ausbauen und überlegte sich, was mit der nicht benötigen Rechenleistung während des restlichen Jahres geschehen könnte. Die Lösung war einfach: Amazon vermietete sie. 2019 machte AWS damit gemäss Statista.com 35 Milliarden Dollar Umsatz.

Dass dieser flexible Ansatz möglich ist, liegt an der Virtualisierung. Sie imitiert mit Software das Vorhandensein der Hardware, die früher im Keller stand. Statt zwanzig spezifische Server bildet man einen einzigen virtuell in der Cloud ab. Wenn man von einem ganzen Rechenzentrum spricht, schiebt man die virtuellen Server beliebig umher, um Ressourcen möglichst gut auszulasten.

 

Das Netz wird beweglich

Die Flexibilität der Cloud kommt also nun auch ins Netz. 5G bietet garantierte Netzressourcen für kritische Anwendungen oder kürzere Reaktionszeiten. Mehr Flexibilität bedeutet, dass das Netz für weitere Anwendungen erschlossen wird. Auch über 6G werden wir noch viel lesen: Vordergründig schöne Marketinggeschichten, Visionen und Zukunftsszenarien, während im Hintergrund bereits heute tausende Spezialisten daran arbeiten, die Technologie und die Möglichkeiten des Mobilfunks weiter zu optimieren.

Ob es nun 4G, 5G oder 6G heisst: Es ist eigentlich egal. Was zählt, sind die Möglichkeiten und das, was schlaue Köpfe aus ihnen machen. Freuen wir uns auf Anwendungen, an die heute kaum jemand denkt.

 

Michael Lieberherr ist Senior Communication Manager for 5G, IoT,

Smart City & IT-Topics bei Swisscom

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