30 Jahre lang hat sich in der Methodik der Gebäudezertifizierung nicht viel geändert. Nicht zuletzt dank der Digitalisierung scheint sich nun aber ein Prozessmusterwechsel zu etablieren.


AUTOR: CHRISTOPH DEWALD


© Simone Hutsch / Unsplash
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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung spielt das Jahr 1990 eine besondere Rolle: Im August diesen Jahres stellt das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) seinen ersten Sachstandsbericht fertig und fasst seitdem in regelmässigen Abständen die Konsensposition innerhalb der klimatologischen Fachwelt zum Einfluss des Menschen auf das Erdklima zusammen.

Im gleichen Jahr kommt mit BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) das weltweit erste Planungs-, Realisierungs- und Bewertungsinstrument für nachhaltige Gebäude auf den Markt. Vor dem Hintergrund des enormen Ressourcenverbrauchs und massiven Emissionsanteils des Immobiliensektors hatte das Building Research Establishment (BRE) im englischen Watford zwei Jahre zuvor mit der Entwicklung von BREEAM begonnen.

Der Zertifizierungsprozess dieses Systems folgt dem methodischen Ansatz Strategy and Outcome: BREEAM definiert klare Nachhaltigkeitsanforderungen, die in die Planungsphase eines Projekts implementiert werden (Strategy). Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen führt anschliessend zu einem angestrebten Ergebnis (Outcome). Im Rahmen des Zertifizierungsprozesses müssen Strategie und Ergebnis für die Zertifizierungsorganisation umfassend dokumentiert werden. BREEAM gilt bis heute als Mutter aller Zertifizierungssysteme, an dessen methodischen Ansatz sich spätere Zertifizierungsansätze stark anlehnen.

Im Gegensatz zur fortschreitenden Digitalisierung von Prozessen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen in den vergangenen Jahren schritt diese Entwicklung bei modernen Zertifizierungssystemen bisher nur langsam voran. Ihre im Wesentlichen inkrementelle Weiterentwicklung führte lange Zeit nicht zu einer Reduktion von arbeitsintensiven Analoganteilen. Anders als in stark digitalisierten Dienstleistungsbereichen hemmte dies eine Senkung der Grenzkosten und die Chance auf eine breite Umsetzung.

Performance is the future of green building

Mit der rasanten Entwicklung in den Bereichen des Internet of Things (IoT) und des Internet of Everything (IoE) zeichnet sich seit kurzem bei der Gebäudezertifizierung ein Prozessmusterwechsel ab. Seit der Markteinführung der Betaversion von LEED v4.1 heisst es beim U.S. Green Building Council offiziell: «Performance is the future of green building» – und tatsächlich kündigt sich mit der aktuellsten LEED-Version ein Paradigmenwechsel hin zu einem neuen methodischen Ansatz an, der kurz mit Policy and Performance zusammengefasst werden kann. Nachhaltigkeitsziele werden neu über Grundsätze oder Richtlinien (Policy) definiert, und gleichzeitig wird die daraus resultierende Nachhaltigkeitsleistung eines Projekts (Performance) über Indikatoren gemessen. Dieser Ansatz berücksichtigt und fördert die Umsetzung von innovativen Nachhaltigkeitslösungen. Der Schwerpunkt der Dokumentation verlagert sich von Strategie und Ergebnis hin zur gemessenen Nachhaltigkeitsleistung in den unterschiedlichen LEED Credit-Kategorien. Die tatsächliche Nachhaltigkeitsleistung eines Gebäudes spricht somit für sich selbst.

Das USGBC verankert diesen Ansatz zunächst in der aktuellen Systemvariante Building Operations and Maintenance, wobei die Bewertung eines Projekts zu 90 Prozent auf seiner Performance basiert. Technisch greift das LEED-System auf die ARC-Platform (ARC) der USGBC-Tochtergesellschaft Arc Skoru Inc. zurück. Als Herzstück des neuen Zertifizierungsansatzes misst ARC in regelmässigen Abständen die Nachhaltigkeitsleistung eines Gebäudes in den Kategorien Energie, Wasser, Abfall, Verkehrsmittel und menschliche Erfahrung. Die eigentliche Nutzung von ARC ist kostenlos. Kosten fallen lediglich für Zertifizierungsgebühren sowie die Erzeugung und Bereitstellung von benötigten Daten an.

Performanceoptimierung durch Nachhaltigkeitscontrolling

Noch einen Schritt weiter in die Richtung eines technologiebasierten Bewertungsansatzes von Nachhaltigkeit geht der bisher noch wenig verbreitete RESET-Standard. RESET bezeichnet sich selbst als weltweit erstes sensorbasiertes und leistungsorientiertes Zertifizierungssystem für Gebäude. Das System ist auf das langfristige Sammeln und Auswerten von Gebäudedaten ausgerichtet. Es arbeitet cloudbasiert und nutzt Analytics bei der Datenauswertung.

Mit dem Ziel, Projekten die grösstmögliche Freiheit bei der Entwicklung von innovativen Nachhaltigkeitslösungen zu geben, wurde RESET ganz bewusst nicht als Instrument zur Definition von Planungsvorgaben entworfen. Das sensorbasierte Datenmonitoring bildet stattdessen die Grundlage für ein Nachhaltigkeitscontrolling zur projektspezifischen Optimierung der Nachhaltigkeitsperformance.

Der im Hause Amstein + Walthert entwickelte Standard IQ Innenraum Qualität basiert ebenfalls auf einem performanceorientierten Bewertungsansatz. Mittels Sustainability Performance Indikatoren (SPIs) haben Nutzer und Betreiber jederzeit einen aktuellen Überblick über die Nachhaltigkeitsleistung ihres Gebäudes (Abb. 1). Der Standard IQ Innenraum Qualität ist darüber hinaus um ein flexibles Planungsinstrument erweitert, das es in den frühen Projektphasen ermöglicht, zusätzlich Schwerpunkte auf individuelle Nutzerbedürfnisse zu legen.

Nachhaltigkeitscontrolling und Echtzeitmonitoring der Innenraum-Qualität
Abbildung 1
Nachhaltigkeitscontrolling und Echtzeitmonitoring der Innenraum-Qualität

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