Der gesellschaftliche Wandel stellt die Gebäudebranche vor Herausforderungen: Um Talente zu gewinnen und Fachkräfte zu halten, müssen sich die Unternehmen als attraktive Arbeitgeber positionieren. Wie kann das gelingen? Expertinnen und Experten geben Tipps.


Autor: Nicolas Gattlen


Viele Lernende und ausgebildete Handwerker wechseln vom Baunebengewerbe in andere Branchen, wo sie weniger Stress und mehr Komfort erwarten. Das ist für die betroffenen Firmen problematisch, weil es schwierig und kostspielig ist, neue Fachkräfte zu gewinnen. Wie lässt sich ein frühzeitiger Abgang verhindern?

Nico Dudli, Inhaber der St. Galler Agentur «Heyweb» und Experte für Employer Branding, rät Firmen, den gesellschaftlichen Wandel ernst zu nehmen: «Der Wind hat sich gedreht. Es gibt immer weniger Leute, die auf dem Bau arbeiten wollen. Die meisten bevorzugen einen komfortablen Bürojob.» Lange konnten sich die Arbeitgeber fast nach Belieben auf dem Arbeitsmarkt bedienen.

Heute sei das anders, sagt Nico Dudli: «Sie müssen nun in die Rolle des Verkäufers schlüpfen. Es ist wie in der Gastronomie: Wenn ein Kunde ins Restaurant geht, erwartet er guten Service und gutes Essen. Wenn alles passt, kommt er wieder. Genauso muss es mit Arbeitgebern sein.»

Wertschätzung – nicht nur am Valentinstag

Wo ist anzusetzen? «Ein wichtiges Bedürfnis ist Wertschätzung und Anerkennung für die geleistete Arbeit», sagt Dudli und führt an einem Beispiel aus der Baubranche auf, wie man Wertschätzung zum Ausdruck bringen kann: «Ein Unternehmer ruft regelmässig Mitarbeitende ins Büro, schüttelt ihnen die Hand, übergibt eine Flasche Wein und sagt: ‹Vielen Dank für deinen Einsatz letzte Woche, das war super›.»

Wertschätzung funktioniere am besten, wenn sie unerwartet kommt, erklärt Dudli – ähnlich wie in einer Beziehung. «Am Valentinstag Blumen zu schenken ist schön, aber wenn man es einfach mal zwischendurch macht, hat es viel mehr Wirkung. Genauso sollte es im Arbeitsumfeld sein.» Lob und ein kleines Geschenk – das könne auch ein freier Nachmittag sein – kosteten wenig, der Gewinn sei aber gross, erklärt Dudli: «Die Mitarbeitenden sind motivierter und produktiver. Und sie erzählen ihren Bekannten davon, was wiederum die Arbeitgebermarke stärkt, viel mehr als jede Werbekampagne.»

Karrierechancen aufzeigen

Auch der «Praxisleitfaden strategisches Personalmanagement» des Schweizer Baumeisterverbandes zählt die Wertschätzung zu den wichtigsten Faktoren. Sie äussere sich nicht nur im Lob, sondern auch in einer vertrauensvollen Unternehmenskultur, in der Einbindung der Mitarbeitenden in Entscheidungen und im Eingehen auf berechtigte Anliegen der Arbeitnehmenden. Beispiel Karriereplanung: Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden klare Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen aufzeigen können, ziehen nicht nur Talente an, sondern fördern auch langfristig die Bindung und Motivation der Belegschaft.

Stefan Egli, Inhaber des Gebäudehüllen-Unternehmens Schürch-Egli, hat ein innovatives Mittel gefunden, um seine Mitarbeitenden zu motivieren und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen: Er setzt auf flexible, projektbezogene Hierarchie. «Bei uns wird niemand zum Vorarbeiter befördert», erklärt Egli. «Alle, die interessiert sind, Leistung zeigen und Verantwortung tragen wollen, dürfen diese Aufgabe übernehmen. Je nach Projekt haben wir also verschiedene Vorarbeiter.»

Stefan Egli muss sich deshalb auch nicht sorgen, dass Mitarbeiter nach einer Weiterbildung abspringen, weil im Betrieb alle Führungspositionen schon besetzt sind. «Den Leuten soll es bei der Arbeit nicht langweilig werden», sagt Egli. «Deshalb hat bei uns jeder die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Und viele nutzen diese Chance.» Das System habe sich bewährt, erklärt der Firmenchef. «Das durchschnittliche Dienstalter beträgt bei uns 10 bis 11 Jahre.» Erstaunlich ist auch, dass der Grossteil der 45 Mitarbeitenden die Lehre bei Schürch-Egli gemacht hat bzw. dort in der Lehre (acht Lernende) ist.

Wie wichtig Zukunftsperspektiven für die Lernenden sind, zeigt eine Studie der Hochschule für Berufsbildung EHB. Sie untersuchte, wie man Lernende der Elektroinstallationsbranche in der Branche halten kann – aktuell bleiben nur knapp 50 % der Branche treu.

Wichtigste Erkenntnis: Zufriedenheit mit der Ausbildungsqualität reicht nicht. Entscheidend ist, dass die Berufswahl keine Notlösung war, die Lernenden gute schulische Leistungen erzielten und die Arbeitsbelastung im Betrieb angemessen ist. Die Aussicht auf Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf fördert die Motivation. Den Betrieben wird deshalb empfohlen, mit den Lernenden langfristige Karrierepläne zu entwickeln und dabei Weiterbildungen einzubeziehen.

Flexiblere Arbeitszeitmodelle

Viele Mitarbeitende wünschen sich zudem flexiblere Arbeitszeitmodelle. Diese sind im Baunebengewerbe nicht einfach umzusetzen. Aber es gibt Möglichkeiten: zum Beispiel eine bessere Ferienplanung, die 4-Tage-Woche oder Teilzeitpensen.

Chantal Beyeler, Organisationsberaterin beim Büro a&o rät Firmen, ein Modell zu suchen, das für die Situation und zum Betrieb passt. «Es gibt sehr vielfältige Teilzeitmodelle, je nachdem, welche Bedürfnisse im Vordergrund stehen und was im täglichen Betrieb möglich ist. Man sollte bei Teilzeit nicht nur die Woche in den Blick nehmen, sondern auch auf der Tages-, Monats- oder gar Jahresebene denken.»

Zum Beispiel kann eine Teilzeitmitarbeiterin jeden Tag sechs Stunden arbeiten. Ein anderer Teilzeitmitarbeiter hat hingegen jeden Monat eine Woche frei. Und eine dritte Person arbeitet einen Grossteil des Jahres voll, hat dann aber drei Monate am Stück frei.

Zufriedenheit messen

Nico Dudli empfiehlt, die Zufriedenheit der Arbeitnehmenden mindestens viermal im Jahr mit kurzen, anonymen Umfragen zu erheben, und zwar mittels einfacher Skalen von 1 bis 10, sodass die Mitarbeitenden sie in einer Minute ausfüllen können. «So bekommt das Management regelmässig ein Stimmungsbild und kann bei Problemen schnell reagieren.» Auch sorgfältig geführte Austrittsgespräche können Erkenntnisse über die Ursachen der Mitarbeiterfluktuationen liefern, aus denen sich Massnahmen zur Verbesserung von Mitarbeiterbindung, Arbeitsumfeld und Unternehmenskultur ableiten lassen.


Markus Bürgler, Ausbildungscoach beim Verband Gebäudehülle Schweiz

Markus Bürgler ist Ausbildungscoach beim Verband Gebäudehülle Schweiz. Seit 1990 engagiert er sich als Instruktor und LAP-Experte bei Polybau Schweiz. Bürgler leitete von 1991 bis 2022 das von ihm gegründete Unternehmen Bürgler Dach; heute führt sein Sohn Thomy Bürgler die Firma mit Sitz in Illgau (SZ).

 


 

Herr Bürgler, der Verband Gebäudehülle Schweiz hat Sie als neuen Ausbildungscoach engagiert. Was sind Ihre Aufgaben?

Meine Hauptaufgabe liegt darin, die Betriebe zu coachen und ihnen als Ansprechpartner bei problematischen Herausforderungen rund um die Grundbildung zu dienen. Dabei verfolge ich einen lösungsorientierten Ansatz: Der Fokus liegt auf der Beratung und Unterstützung.

Kommen die Betriebe auf Sie zu oder gehen Sie proaktiv Lehrbetriebe an?

Normalerweise reagiert die Berufsschule. Ab und zu kontaktieren mich Betriebe aber auch direkt. Manche Betriebe haben noch nie oder schon länger nicht mehr Lernende eingestellt und möchten sich beraten lassen. Wir gehen aber auch auf Lehrbetriebe zu, wenn wir feststellen, dass bei Lernenden wiederholt Schwierigkeiten auftreten und es immer wieder zu Lehrabbrüchen oder schlechten Prüfungsleistungen kommt.

Warum brechen Lernende ab?

Es gibt ein ganzes Bündel an möglichen Gründen. Häufig aber brechen jene ab, die sich nicht in ein Team eingebunden fühlen. Sie kapseln sich dann zunehmend ab, bis es ihnen komplett «verleidet».

Was raten Sie Lehrbetrieben ganz generell?

Es ist wichtig, dass die Chefs sich einbringen und die Lernenden führen. Dass sie Berufsstolz vermitteln und den Lernenden auch etwas zutrauen. Oft höre ich, dass man keine Zeit habe. Die Begleitung wird dann delegiert. Dabei sind die frühzeitige enge Führung und Bindung enorm wichtig. Wenn man das zu Beginn der Lehrzeit gut hinbekommt, sind die Erfolgsaussichten in der Regel sehr gut. Motivierte Lernende sind das beste Marketing für weitere erfolgreiche Lernverhältnisse.

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