Wohin geht die Reise der Gebäudetechnik?

Im Rahmen der Light + Building konnten wir mit Lucy Han, Leiterin Gebäude- und Hausautomationslösungen bei ABB Smart Buildings, ein exklusives Interview führen und ihr einige Fragen zur Zukunft der intelligenten Gebäudetechnik stellen.
Text und Fotos: René Senn und ABB
Es gibt wohl keinen besseren Ort und keine bessere Möglichkeit, sich über die neuesten Entwicklungen und Trends im Bereich der Gebäudeautomation zu informieren als die Light + Building. Sie fand im März in Frankfurt am Main statt und gilt als die weltweit führende Messe für Licht, Elektrotechnik sowie Haus- und Gebäudeautomation. Vor diesem spannenden Hintergrund konnten wir Lucy Han, Head of Global Product Group Building and Home Automation Solutions bei ABB Smart Buildings, persönlich kennen lernen.
In ihrer Funktion bei ABB und als frisch gewähltes Vorstandsmitglied der KNX Association ist Lucy eine Schlüsselfigur der Branche, und mit ihren Ideen und Visionen gestaltet sie die Zukunft der intelligenten Gebäudetechnologien massgeblich mit. Wir von eTrends wollten daher von ihr wissen, in welche Wolken und Sphären uns die Reise der Gebäudeautomation führen wird und worauf sich die GA-Branche zukünftig einstellen muss.
Was bedeutet für dich Arbeit?
Durch meine Arbeit und meine Funktion bei ABB und bei der KNX Association kann ich in einem sehr spannenden Umfeld einiges bewirken. Energieeffizienz durch neue Produkte, Monitoring und die Vernetzung der Gebäudetechnik sind sehr spannende Themen, in denen ich tätig sein darf. Hinzu kommt, dass ich sehr gerne mit anderen Menschen zusammenarbeite.
Eine meiner Leidenschaften ist es, die Technologie voranzutreiben, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen, insbesondere im Bereich der Gebäude- und Hausautomatisierung. Dieser Markt hat ein signifikantes Wachstum erlebt, getrieben von Faktoren wie zunehmender Urbanisierung, steigender Nachfrage nach intelligenten und vernetzten Geräten, einem gesteigerten Bewusstsein für die Bemühungen zur Dekarbonisierung und sich weiterentwickelnder Gebäudegesetzgebung wie der EPBD.
Um den Erfolg von Initiativen wie Netto-Null-Häusern sicherzustellen, den Energieverbrauch effektiv zu optimieren und den CO₂-Fussabdruck zu reduzieren, sind Einfachheit und Intelligenz entscheidend. Das bedeutet offene Kommunikationsprotokolle, interoperable Geräte und die Schaffung einer gemeinsamen Sprache für das intelligente Gebäude-Ökosystem.
Mit unseren erschwinglichen Lösungen für die Gebäude- und Hausautomatisierung wollen wir den Markt für Gebäudeautomatisierung demokratisieren und Einfachheit, Interoperabilität und Nachhaltigkeit priorisieren.
Neben technologischen Fortschritten ist es wichtig, die praktischen Aspekte der Benutzererfahrung zu berücksichtigen. Man stelle sich Häuser vor, in denen alle Geräte, auch jene der Bewohnenden, über ein zentrales System verbunden sind, um Geld, Zeit und Energie zu sparen. Aktuell werden Smart Homes durchschnittlich über fünf Apps verwaltet. Das muss sich ändern. Wir wollen eine App schaffen, mit der Bewohner alles überwachen und steuern können – von der Waschmaschine bis zu Energie- und Sicherheitssystemen. Die Integration ist letztlich eine grossartige Quelle für Effizienz.
Wie innovativ findest du den Schweizer Gebäudeautomations-Sektor im Vergleich zum Ausland?
Der Markt der Gebäudeautomation ist sicher sehr hochwertig, innovative Lösungen sind gefragt. Aber man sollte sich nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen, denn der Markt entwickelt sich im Moment schnell.
ABB als globale Organisation nutzt Technologien, die weltweit entwickelt wurden und nicht nur auf die Schweiz beschränkt sind. Unsere Teams bestehen aus internationalen und lokalen Experten, was die Zusammenarbeit fördert. Angesichts dieses vielfältigen Umfelds verzichten wir darauf, die Innovationskraft einzelner Länder herauszustreichen. Stattdessen feiern wir den kollektiven Fortschritt und die Synergie von Ideen, die unseren globalen Erfolg antreiben.


Was liegt dir am Markt Schweiz besonders am Herzen?
Die Schweiz ist ein schöner Arbeitsort. Die Grösse des Marktes ist im Vergleich zu anderen Ländern überschaubar, aber durch die drei Sprachkulturen nicht weniger interessant als andere Märkte.
Wir sind eine globale Organisation mit Hauptsitz in der Schweiz. Die nationale Betonung von Forschung und Entwicklung, gestützt durch starke Forschungsinstitutionen und effektive Industrie-Universitäts-Kooperationen, hat den Ruf der Schweiz als globales Innovationszentrum gestärkt.
Welche globalen Schlüsseltrends sind in den nächsten 12 bis 18 Monaten zu erwarten?
Stichwörter dazu sind Digitalisierung, Interoperabilität und natürlich die Sicherheit der Gebäudetechnik.
Ironischerweise kann Technologie, die für Effizienz konzipiert ist, manchmal Komplexität mit sich bringen. Das Erreichen von Einfachheit für Gebäudebesitzer: innen und Betreiber sowie für das integrierte Partner-Ökosystem, das starke Innovation und Zusammenarbeit erfordert, wird daher höchste Priorität haben. Dadurch entsteht ein dringend benötigter Nexus neuer Kräfte.
Das Potenzial intelligenter Gebäude zu maximieren, ist ein Mannschaftssport, der von Technologie-Anbietern Zusammenarbeit und Wissensaustausch in einem nie dagewesenen Mass erfordert. Um die nächste Generation von Produkten und Lösungen für moderne Energiebedürfnisse zu innovieren, bedarf es einer Branchen-übergreifenden Zusammenarbeit, denn Fortschritt wird vor allem dann erreicht, wenn wir bestehende Technologien auf intelligente Weise miteinander verknüpfen.
Wir bilden für Anwendungen in neuen oder bestehenden Ein- oder Mehrfamilienhäusern, Gewerbe- oder Industriegebäuden Partnerschaften, die es uns nicht nur ermöglichen, Technologien und Projekte zum Nutzen der gebauten Umwelt zu integrieren, sondern die auch gemeinsame Innovationen hervorbringen sollen. Zum Beispiel arbeiten ABB und Samsung derzeit an integrierten Lösungen für modernste Automations- und Energiebedürfnisse. Diese Lösungen ermöglichen die nahtlose Integration kompatibler Drittanbieter wie Haushaltsgeräte und vereinen somit Smart-Home-Systeme mit EV-Ladestationen, Wärmepumpen, Solaranlagen auf dem Dach und Energiemanagement-Lösungen.
Eine unserer Prioritäten für die nächsten 12 bis 18 Monate ist es, die innovative Zusammenarbeit der Installateure zu fördern und den Markt zu informieren. Ausserdem werden wir sicherstellen, dass alle unsere Innovationen einem normbasierten Ansatz folgen.
Nach der Akquisition von Eve im letzten Jahr hat ABB mit KNX, ABB-free@home und Eve drei unterschiedliche Systeme im Portfolio. Was ist die Strategie?
Die drei Systeme ergeben ein interessantes Portfolio mit unterschiedlichen Anwendungsszenarien. Wir werden alle drei sehr interessanten Systeme kontinuierlich weiterentwickeln und wo möglich miteinander verbinden, um Synergien zu nutzen.
Die Übernahme von Eve im Juni 2023 zeigt unser Engagement, was Innovation und Industriestandards angeht, und bringt uns im Bereich der Matter- und Thread-Technologie in eine führende Position. Eve ist eine Vorreiterin bei der Anwendung des neuen Matter-Konnektivitätsstandards für Smart-Home-Produkte in Wohnhäusern und Gebäuden mit Anbindung über die Thread-Technologie.
Die Übernahme trägt dazu bei, der beschleunigten Nachfrage nach sicheren, intelligenten und nachhaltigen Nachrüstungen von Gebäuden gerecht zu werden. Dies erleichtert die Steuerung von Energie, Sicherheit und Komfort in bestehenden Häusern und macht sie durch die nahtlose Integration zugänglicher für noch mehr unserer Kunden.
Eve hat vor drei Jahren damit begonnen, Thread-Technologie in ihre Smart-Home-Geräte zu integrieren und bietet heute kostenlose kabellose Updates auf Matter an. Selbstverständlich werden die Eve-Produkte schrittweise mit ABBs Smart-Home-Systemen wie ABB-free@home kompatibel werden. Installateure werden zunehmend in der Lage sein, Erweiterungen für Smart-Home-Systeme anzubieten.
KNX und Matter sehen wir als komplementär zueinander. Beide sind auf Standardisierung, Interoperabilität und Offenheit ausgerichtet und basieren auf einem Multi-Hersteller-Ökosystem.
Bilder der Light + Building
Aus deiner Sicht bei ABB: Wo liegt die Zukunft der Gebäudeautomation?
Mir fallen hier drei wichtige Punkte ein. Zum einen sind es standardbasierte, offene Technologien. Zum anderen sind es Partnerschaften zwischen Anbietern, die System-Interoperabilität, Innovation und Nutzerfreundlichkeit fördern. Und als dritten Punkt würde ich die wachsenden Ansprüche an den Komfort nennen, während gleichzeitig die Umweltauswirkungen minimiert werden.
Kannst du uns dafür ein Beispiel nennen?
Unser ABB-free@home System erweitert seine Anpassungsmöglichkeiten durch die Integration des herstellerübergreifenden Verbindungsstandards Matter und der SmartThings-Plattform von Samsung. Zusätzliche Partner-Addons bauen das Smart-Home-System weiter aus, um noch mehr Möglichkeiten und Funktionen nahtlos zu integrieren.
Ist eine solche Öffnung eines proprietären Systems eine Chance?
Durch die Integration lässt sich ABBfree@ home nun nativ in alle Matter-kompatiblen Systeme einbinden, so gelingt zum Beispiel auch die Steuerung per Sprache über Apple Siri oder am Handgelenk per Apple Watch. Dank einem Addon Development Kit haben nun auch andere Hersteller die Möglichkeit, Addons für ABB-free@ home zur Verfügung zu stellen und sich in das Smart-Home-System zu integrieren. Dies ist für die Entwicklung eines solchen Systems eminent wichtig.
Wir müssen darauf achten, dass die Nutzer:innen möglichst einfach mit unseren «fix» installierten Systemen interagieren können.
Dies ist insbesondere im Wohnbau wichtig, oder?
Wir müssen darauf achten, dass die Nutzer:innen möglichst einfach mit unseren «fix» installierten Systemen interagieren können. Damit ermöglichen wir eine zeitgemässe Elektroinstallation, die die Mieter:innen mit entsprechenden Komponenten sehr einfach erweitern können. Insbesondere für das Mieterland Schweiz ist dies eine wichtige Option.
Du sprichst von Matter im Smart Home. Wie sieht es damit im Smart-Building-Bereich aus?
Ich denke, auch im Smart Building werden wir in Zukunft vermehrt Lösungen antreffen, die auf der Matter-Technologie basieren.
Wird es dort nicht eher der Kommunikationsstandard Thread sein?
Nein, nicht nur. BACnet, KNX, Thread und Matter werden uns in Zukunft begleiten und untereinander kommunizieren.
So werden Technologien für Wohn- und Gewerbegebäude zunehmend verschmelzen?
Ja, so sehe ich das. Produkte und Lösungen, die bisher oft noch für das eine oder andere Marktsegment entwickelt wurden, werden vermehrt in beiden Segmenten zum Einsatz kommen.
Es besteht Potenzial zur Verbesserung der Wohnqualität und Energieeffizienz von grossen Wohn-, Gewerbe- und Mehrfamilienhäusern. Die Erwartungen der Bewohner:innen spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Die Menschen wünschen sich unabhängig von der Art des Gebäudes Komfort, Kontrolle und Effizienz.
Diese universelle Anforderung unterstreicht die Bedeutung von nahtlosen Erfahrungen in verschiedenen Gebäudetypen. Darüber hinaus ist es wichtig, individuelle Gebäude zu einem zusammenhängenden Ganzen zu integrieren und so smarte Gemeinschaften und Städte zu schaffen, in denen jedes Gebäude synergistisch zum gesamten städtischen Gefüge beiträgt. Dieser Ansatz umfasst die Vernetzung von Gebäuden durch ein Netz, die nahtlose Integration erneuerbarer Energiequellen und die Implementierung nachhaltiger Systeme.
Interoperabilität, Standardisierung und Skalierbarkeit eröffnen immer mehr Möglichkeiten und ermöglichen es, Lösungen, die ursprünglich für grössere Gebäude ausgelegt waren, auch auf Einzelhäuser anzuwenden.
Welche Vorteile versprichst du dir von der Verschmelzung dieser Bereiche?
Komfort, Energieeffizienz und nicht zuletzt die Interoperabilität der Systeme. Die Verschmelzung der Technologien schafft ein breiteres Einsatzspektrum der Lösungen, die wir für den Markt entwickeln.

«Eine meiner Leidenschaften ist es, die Technologie voranzutreiben, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.»
Lucy Han, Leiterin Gebäude- und Hausautomationslösungen bei ABB Smart Buildings
Wie wichtig sind Industriestandards wie KNX für das Wachstum und die Sicherheit im Bereich der Gebäudeautomation?
Standards wie KNX ermöglichen es uns, Produkte für einen globalen Markt zu entwickeln, die mit Produkten von anderen Herstellern kommunizieren können. Standards geben uns so gesehen eine gewisse Sicherheit.
Wohin zielt die aktuelle Strategie von ABB im Bereich der KNX-Gebäudesystemtechnik?
KNX ist für uns ein sehr wichtiges Produkt-Portfolio. Wir sind hier sehr breit aufgestellt mit unseren Geräten, die sich seit Jahren in allen möglichen Gebäuden bewähren.
Unser Ziel ist es, offene Technologien und Interoperabilitätsstandards der Branche voranzutreiben. Im November haben wir beispielsweise eine neue globale Vereinbarung mit Samsung C&T angekündigt, um integrierte, ganzheitliche Gebäudeautomationslösungen, zuverlässige Energieverteilung und Energiemanagement-Lösungen zu liefern. Dies wird unser Portfolio für Gewerbe- und grosse Wohngebäude auf die Ebene des Property Managements ausweiten.
Die Zusammenarbeit ermöglicht die Integration ganzheitlicher Gebäudelösungen wie Samsung C&T’s Homeniq Smart-Home-Plattform, ABB-free@ home® und ABB i-bus® KNX, welche die Möglichkeit bieten, unter einem einzigen Property-Management- Tool eine Vielzahl von Haus- und Gebäude- Dienstleistungen anzubieten. Dies ist wichtig, weil dadurch die Bewohner:innen alle Samsung Homeniq- und ABB-Smart-Home-Geräte über eine einzige Benutzeroberfläche steuern können.
Diese Partnerschaft ist ein gutes Beispiel dafür, wie die neue Möglichkeit, alle Energiesysteme innerhalb von Immobilien zu verwalten und zu überwachen, die Anschlussgebühren durch die Reduktion der Spitzenlasten senken und die Investitionsrendite von PV-Anlagen beschleunigen.
KNX Secure ist ein eminent wichtiger Schritt in der Weiterentwicklung des KNX-Standards.
Wird KNX Secure ein Thema bei ABB?
Warum wird? KNX Secure ist ein eminent wichtiger Schritt in der Weiterentwicklung des KNX-Standards. KNX Secure, wie übrigens auch KNX IoT, ist ein logischer Evolutionsschritt von KNX. Auch in unserem KNX-Produktportfolio sind KNX Secure-Geräte zu finden.
Ist der Aufwand nicht gross, die gesamte KNX-Produktpalette umzustellen?
Wir sind uns gewohnt, unsere Produkte stetig weiterzuentwickeln. KNX Secure wird in diesen Prozess integriert, und dadurch wird auch das KNX Secure-Sortiment laufend ausgebaut. Dies ist für uns eine gut machbare Aufgabe.
Du hast vorhin KNX IoT erwähnt. Wie siehst du da die Entwicklung?
Die KNX Association hat mit KNX IoT einen ersten wichtigen Schritt unternommen, KNX zukunftsfähig zu machen. Durch die Öffnung dank oder mit KNX IoT ergeben sich künftig sehr viele neue Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten. KNX wird nicht zuletzt dadurch weiterhin eine sehr wichtige Rolle in der Gebäudeautomation spielen.
Was dürfen wir hier erwarten, wann geht es los mit ersten Produkten?
Mit KNX IoT haben Investoren die Sicherheit, ihre Gebäude mit standardisierter IoT-Technologie auszurüsten. Dank oder eben auch mit der ETS steht zudem ein einheitliches Tool zur Verfügung, mit dem die Konfiguration vorgenommen werden kann. Und noch eine Antwort als Board-Member der KNX Association: Der KNX IoTStandard wurde eben erst verabschiedet, so wird es noch eine Weile dauern, bis erste Produkte am Markt verfügbar sind. Einzelne Hersteller haben schon Produkte lanciert, aber so richtig losgegangen ist es bisher nicht. Das ist aber auch normal in diesem Moment.
Das alles sieht nach sehr sehr viel Arbeit aus, hat dein Managerinnen-Tag 48 Stunden?
Nein (lacht). Aber das ist nett, dass du mich das fragst. Du musst dir keine Sorgen machen (lacht). Ich habe ein super Team bei ABB, und zusammen meistern wir die Aufgaben, die wir angehen wollen.
Herzlichen Dank für das interessante Interview, wir wünschen dir viel Spass und Erfolg mit deinem Team bei ABB sowie im Vorstand der KNX Association!
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