Überbauung Erlenmatt-Ost verfügt über eine eigen­ständige Stromversorgung
Die Überbauung Erlenmatt-Ost unweit des Badischen Bahnhofs in Basel ist als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) organisiert. Sie verfügt über eine eigen­ständige Stromversorgung, die von der ADEV Energiegenossenschaft betrieben wird.

Elektromobil und Pufferspeicher in einem

Die Elektromobilität soll einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Klimaerwärmung leisten. Ein Forschungsprojekt im Basler Neubauareal Erlenmatt Ost zeigt, dass sich Elektroautos zugleich für Carsharing und Zwischenspeicherung von Solarstrom nutzen lassen.


Text und Fotos: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)


Auf dem Gelände Erlenmatt-Ost in Basel entstand in den letzten Jahren ein Quartier mit 200 Wohnungen für 650 Menschen. Die zentrumsnahe Überbauung ist als autoarmes Areal konzipiert, die Tiefgarage umfasst lediglich 70 Stellplätze. Dafür finden Mieterinnen und Mieter hier zwei Elektromobile – einen Nissan Leaf und einen Nissan Evalia –, die sie gegen eine Gebühr nutzen können.

Erlenmatt-Ost ist ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV), das heisst, die Überbauung versorgt sich über ein eigenes Stromnetz mit Solarstrom. Dieser stammt aus mehreren Solaranlagen mit insgesamt 650 kWp Leistung, die aufs Jahr gesehen rund ein Drittel des Bedarfs an Strom, Heizung, Warmwasser und E-Mobilität decken. Betreiberin des ZEV ist die ADEV Energiegenossenschafts-Gruppe in Liestal (BL). Reicht der eigene Solarstrom nicht aus, kauft die ADEV den fehlenden Strom von zwei Kleinwasserkraftwerken bei Gerlafingen über die Fleco Power AG zu.

Batterieautos puffern Solarstrom

Der ZEV Erlenmatt-Ost war in den letzten Jahren Schauplatz eines Forschungsprojekts zur Elektromobilität, das in einer ersten Pilotphase (2017–2018) vom Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt und ab 2019 vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt wurde. Im Zentrum des Projekts standen die zwei Elektromobile in der Tiefgarage. Das Besondere daran: Die Ladestationen [Marktübersicht Ladestationen] funktionieren bidirektional, sie erlauben also nicht nur das Laden, sondern auch das Entladen der Batterien. Die sogenannte Vehicle-To-Grid-Technologie (V2G) macht es möglich, die Elektroautos als Pufferspeicher zu nutzen. Sie speichern an Tagen mit hohem Solarertrag «überflüssigen» Solarstrom, den sie in den Abendstunden, wenn Bedarf besteht, über das Arealnetz an die Haushalte abgeben. Lade- und Entladevorgänge werden über ein zentrales Energiemanagementsystem gesteuert. Das primäre Ziel dabei ist die Reduktion der Bezugsspitzen in Zeiten mit hohem Stromverbrauch auf dem Areal (Hochlastzeiten).

«Wir konnten zeigen, dass die beiden E-Mobile über die bidirektionalen Ladestationen zuverlässig in das Stromnetz eingebunden und ihre Batterien dank Energiemanager als Pufferspeicher genutzt werden können», fasst Projektleiterin Dr. Anna Roschewitz, Co-Geschäftsführerin der Forschungs- und Beratungsfirma novatlantis GmbH, ein Hauptergebnis des Projekts zusammen. Der Wermutstropfen: Der CHAdeMO-Standard, auf dem die bidirektionalen Ladestationen beruhen, wird aktuell nur von Nissan, Mitsubishi und Peugeot unterstützt.

Viele Elektroautos, grosser Effekt

Die Idee, Batterieautos als Pufferspeicher zu nutzen, wurde vor einigen Jahren in einem Tessiner Pilotprojekt untersucht (vgl. BFE-Fachartikel «Elektroautos mit klugen Speichern», abrufbar unter https://pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/9444). Beim Basler Projekt wird die Speicherfunktion der E-Mobile nun als integraler Bestandteil eines lokalen Stromnetzes genutzt, und dies bei Carsharing-Fahrzeugen. Auf den ersten Blick mag es seltsam anmuten, ein Elektromobil gleichzeitig vermieten und als Speicher nutzen zu wollen. Das Basler Forschungsprojekt belegt nun, dass die beiden Nutzungen durchaus vereinbar sind, zumindest bis zu einem gewissen Grad: Um die Vermietung sicherzustellen, ist die Batterie stets mindestens so geladen, dass eine gewisse Mindestreichweite gewährleistet ist (z.B. 50 km, Wert einstellbar). Wird ein Auto per App oder Webseite vorgängig reserviert, sorgt der Energiemanager dafür, dass die Batterie zum Zeitpunkt der Anmietung auf die vom Nutzer gebuchte Reichweite plus Reserve geladen ist.

Die Batterien der beiden E-Mobile haben zusammen eine Speicherkapazität von 80 kWh. Rund die Hälfte kann für V2G genutzt werden. An schönen Tagen können so 40 kWh Solarstrom vom Tag in den Abend verlagert und der Eigenverbrauch an Solarstrom erhöht werden. Gleichzeitig können die Batterien – und das war der Hauptfokus des Projekts – eingesetzt werden, um Bezugsspitzen des Areals zu reduzieren. Da die Entladeleistung der Fahrzeuge herstellerseitig auf je 10 kW begrenzt ist, stehen dafür 20 kW zur Verfügung – relativ wenig, wenn man bedenkt, dass die abendlichen Bezugsspitzen des Areals mitunter 300 kW betragen. «Dass die Entladeleistung der beiden E-Mobile vergleichsweise gering ist, schmälert den Erfolg unseres Forschungsprojekts in keiner Weise, denn es ging uns um den Proof of Concept, und dieser ist uns gelungen», sagt Prof. David Zogg, der mit seiner früheren Firma Smart Energy Control den auf dem Areal eingesetzten Energiemanager entwickelt hat. «Mit grösseren Elektromobil-Flotten, grösseren nutzbaren Batteriekapazitäten und erhöhten Entladeleistungen werden wir wesentlich grössere Effekte erzielen, die sich auch finanziell auszahlen werden.» Zogg bezieht sich mit der Aussage auf entsprechende Simulationsrechnungen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW (siehe folgender Kasten).

Wie eine E-Mobil-Flotte Bezugsspitzen bricht

Das Basler Projekt hat das Potenzial der V2G-Technologie mit zwei Elektromobilen praktisch untersucht. In einer Simulationsrechnung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurde darüber hinaus gezeigt, welche Effekte mit grösseren Elektromobil-Flotten auf dem Erlen­matt-Ost-Areal erzielt werden könnten. Der Simulation wurden Flotten mit 15, 29 bzw. 59 Fahrzeugen zugrunde gelegt (teilweise privat, teilweise beruflich genutzt).

Gemäss diesen Berechnungen kann eine Flotte aus 59 Fahrzeugen die Bezugsspitzen aus dem externen Stromnetz auf die Hälfte reduzieren (Abb. 2). Auch kleinere Flotten mit 15 oder 29 Fahrzeugen zeigen schon deutliche Effekte. «Die Resultate widerlegen die landläufige Behauptung, Elektromobile würden das Stromnetz zusätzlich belasten. Im Gegenteil, mit bidirektionalem Laden kann es sogar entlastet werden», sagt  Prof. David Zogg, Gründer von Smart Energy Control, einem Spinoff der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Von tieferen Bezugsspitzen würde die ADEV als Betreiberin des ZEV Erlenmatt-Ost finanziell profitieren. Die ADEV entrichtet an die Betreiberin des externen Netzes (Industrielle Werke Basel / IWB) nämlich eine monatliche Gebühr, die von der höchsten während eines Monats bezogenen Leistung abhängt. In einer Beispielrechnung der ZHAW könnte die ADEV durch Nutzung der V2G-Technologie heute rund 8 Prozent der jährlichen Stromkosten sparen und in Zukunft mit optimierten Elektromobilen sogar 10 Prozent.

Nutzung gezielt lenken

Das Forschungsteam der ZHAW hat auch untersucht, ob sich die Nutzung der Elektromobile über einen finanziellen Anreiz so lenken lässt, dass sie ihre Funktion als Pufferspeicher optimal erfüllen bzw. Strom in den verbrauchsstarken Abendstunden liefern können («Peak Shaving»). Zu diesem Zweck wurde die Nutzungsgrundgebühr pro Stunde im 3. Quartal 2021 zwischen 18 und 22 Uhr versuchsweise auf 16 Fr. verdoppelt. In den übrigen Stunden wurde die Grundgebühr von 8 Fr. auf null gesetzt, um einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen. Die Nutzungsgebühr pro Kilometer blieb unverändert.

«Unsere Auswertungen zeigen, dass es mit einem finanziellen Anreiz in Kombination mit Kommunikationsmassnahmen grundsätzlich möglich ist, die Nutzung des E-Carsharings zum Zwecke des Peak Shavings zeitlich zu verschieben und gleichzeitig die Nutzung des E-Carsharings-Angebots generell zu fördern», sagt ZHAW-Forscher Uros Tomic. Nur noch 3 Prozent der Nutzungsdauer entfielen im Versuchszeitraum (3. Quartal 2021) auf die Zeit zwischen 18 und 22 Uhr (gegenüber 15 % im 3. Quartal 2020). Zudem wurden die E-Mobile jetzt häufiger genutzt als im Vorjahreszeitraum (251 statt 173 Stunden). Insgesamt 46 Personen des Erlenmatt-Ost-Areals haben eines der beiden Elektroautos seit Anfang 2019 mindestens einmal genutzt.

Grafik Energiebedarf und Abdeckung Erlenmatt an einem Tag

Grafik: Ein Tag im März: Vom Morgen bis zur Mittagszeit und ab dem späten Nachmittag wird der Bedarf des Erlenmatt-Ost-Areals durch Strom aus dem externen Stromnetz (blau) gedeckt, falls der eigene PV-Strom nicht ausreicht. Zwischen 12 und 16 Uhr ist die PV-Produktion so gross, dass Strom ins externe Netz eingespeist werden kann. Dank den beiden Elektroautobatterien kann die Strom­einspeisung ins externe Netz am frühen Nachmittag vermindert werden (grüner Pfeil), ebenso der Strombezug aus dem externen Netz in den Abendstunden (blauer Pfeil).  (Grafik: David Zogg)


Darstellung der Bezugsspitzen des Erlenmatt-Ost-Areals gemäss ZHAW-Simulation

Grafik: Darstellung der Bezugsspitzen des Erlenmatt-Ost-Areals gemäss ZHAW-Simulation. Werden auf dem Areal E-Mobile geladen, nehmen die Bezugsspitzen aus dem externen Netz deutlich zu. Durch intelligente Regelung der Ladevorgänge mittels Energiemanager kann man die Bezugsspitzen sehr stark reduzieren. Dank dieser Regelung sind sie sogar geringer als ohne E-Mobile. (Grafik: ZHAW)


Auf dem Weg zur praktischen Anwendung

Mit dem rasant wachsenden Anteil an Elektromobilen auf unseren Strassen steigen auch die Anforderungen an die Stromversorgung und das Netz. Mit intelligenten und netzdienlichen Ladesystemen können Elektromobile zu einer Stabilisierung des Netzes beitragen. «Das Basler Projekt konnte klar zeigen, dass V2G technisch relativ einfach realisierbar ist und selbst in einem Carsharing-Betrieb genutzt werden kann», sagt Dr. Luca Castiglioni, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Mobilität.

Um eine schnelle, wirtschaftliche Markteinführung zu ermöglichen, hat das BFE im Herbst 2021 zusammen mit Partnern aus Industrie und Forschung mehrere Projekte gestartet. «Wir untersuchen nun die Wirtschaftlichkeit aus Perspektive der Fahrzeugbesitzer, Energieanbieter und Netzbetreiber; dabei stehen auch Skalierbarkeit und unterschiedliche Business-Modelle im Fokus», sagt Castiglioni. In einem Demonstrationsprojekt mit dem Carsharing-Anbieter Mobility soll ab Sommer 2022 eine grössere E-Mobil-Flotte an verschiedenen Standorten mittels V2G netzdienlich betrieben werden. 

 

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