Alle Lebensmittel und sonstige Waren sind mit einem Herkunftsnachweis (HKN) versehen. Damit lassen sich die Produkte bis zu ihrem Ursprungsort zurückverfolgen. Wenn zum Beispiel bei den Datteln «Made in Tunisia» draufsteht, so können wir sicher sein, dass diese Früchte auch physisch auf tunesischen Palmen geerntet wurden. Grundsätzlich gilt dies auch für den elektrischen Strom. Wenn das EVU «Grünstrom» anbietet, dann ist dem dank dem HKN auch so. Allerdings lässt sich im Unterschied zu den Datteln aus Tunesien die Herkunft des Stroms nicht örtlich definieren. Er kann zum Beispiel auch aus Island stammen und in Zürich verbraucht werden. Für viele Konsumenten wohl etwas befremdlich. Eine Mogelpackung?
Der Strom aus Schweizer Steckdosen ist ein Mixstrom aus unterschiedlichen Ländern und von verschiedenen Erzeugern. Gemäss Angaben des Bundesamts für Energie BFE stammt unser Strom im Jahresmittel zu bis 80 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen und zu knapp 20 Prozent aus Kernenergie. Bei den meisten EVUs können die Kunden in einem gewissen Rahmen ihren Mix wählen. Und viele entscheiden sich zum Beispiel für «Naturstrom», den das EVU meist in einer beschränkten Menge und zu einem höheren Preis liefert.
Grundsätzlich bekommt man den gewünschten Strommix, aber vermutlich nicht direkt vom benachbarten Kleinwasserkraftwerk. Seit Ende 2006 ist die UVEK-Verordnung über die Stromkennzeichnung (Herkunftsnachweis HKN) in Kraft. Für die Ausstellung der Herkunftsnachweise ist in der Schweiz die Pronovo AG zuständig, in Kooperation mit der EU. Der Endkunde kann seinen Strom so quantitativ zurückverfolgen. Allerdings nicht physikalisch, sondern nur in ökonomischer bzw. virtueller Hinsicht.
Fast alle europäischen Staaten sind elektrisch vernetzt und bilden einen riesigen «Stromsee», in den alle Beteiligten einspeisen und von dem sie beziehen können. Obschon für jede elektrisch erzeugte kWh ein HKN erstellt wird, lässt sich der Strom physisch nicht aufsplitten. Im internationalen Stromhandel wird daher die physische Stromlieferung vom Herkunftsnachweissystem ökonomisch getrennt. Beide können unabhängig voneinander auf Marktplattformen gehandelt werden. Der HKN wird so als eigenständiges Zertifikat gehandelt und ist so lange gültig, bis dieser definierte Strom irgendwo in Europa verbraucht ist. In dieser Zeitspanne kann der HKN frei gehandelt, also gekauft und verkauft werden. Wer zum Beispiel den eigenen Fotovoltaikstrom ins Verteilnetz einspeist, erhält dafür den Herkunftsnachweis, den er zusätzlich zur Energie verkaufen kann.
Weil alle europäischen Länder an diesem System teilnehmen, auch Inseln wie zum Beispiel Island, die keine physische Verbindung zum Europäischen Verbundnetz haben, können sie ihren «Grünen Strom» mit einem Herkunftsausweis versehen und ihn europaweit verkaufen. Diese Stromlieferung ist zwar physikalisch nicht möglich, sie existiert nur virtuell auf dem HKN-Marktplatz. Theoretisch könnte also ein schweizerisches EVU seinen gesamten Naturstrom aus Island beziehen und ihn seinen Kunden so verkaufen. Ob dieses Handelssystem ein Etikettenschwindel oder eine Mogelpackung ist, sei hier zwar offengelassen, aber es ist wohl nicht für alle Stromkunden problemlos nachvollziehbar.
Autor: Hans R. Ris ist Publizist und Autor aktueller Fachbücher in den Fachgebieten Energie- und Lichttechnik
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001: EEX Strombörse – der Teuerste bestimmt
002: Grünstrom aus Island – mit Herkunftsnachweis
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